Dr. Jörg Sandmann im Experteninterview: Wie entwickelt sich der Testosteronspiegel bei Männern mittleren Alters?

Der Testosteron-Hormonspiegel verändert sich im Laufe des Lebens, kann allerdings bereits bei jüngeren Männern abfallen und zu Symptomen wie Leistungsschwäche, erektiler Dysfunktion und Depressionen führen. Bei möglichen Anzeichen ist eine ärztliche Diagnose grundlegend, um einen möglichen Testosteronmangel auszuschließen.

serotalin®: Herr Dr. Sandmann, was sind Ihrer klinischen Einschätzung nach die typischen Anzeichen eines sinkenden Testosteronspiegels bei Männern ab 30 Jahren?

Dr. Sandmann: Der 30-jährige Patient ist nicht der typische Patient mit einem Testosteronmangel. Wir müssen zunächst schauen, in welchem Ausmaß und wann welche Symptome auftreten. Viele glauben, dass sexuelle Unlust und erektile Dysfunktion zu den typischen Anzeichen eines Testosteronmangels gehören. Das stimmt so nicht, denn diese Symptome zeigen sich erst sehr spät.

Zu Beginn treten unspezifische Symptome auf, die mit einer Störung der Schilddrüsenfunktion vergleichbar sind – zum Beispiel Leistungsschwäche, Abgeschlagenheit, Zunahme des Fettgewebes oder Depressivität. Diese anfänglichen Anzeichen bemerkt der Patient allerdings häufig nicht und verbindet diese Symptome oft mit beruflicher Belastung oder anderen herausfordernden Dingen. Deshalb wird der Testosteronmangel so häufig nicht als Ursache wahrgenommen.

serotalin®: Können Sie kurz erklären, welchen Einfluss Testosteron generell auf die Gesundheit von Männern hat?

Dr. Sandmann: Testosteron macht unheimlich viel. Das Hormon ist ein männliches Geschlechtshormon, das in der Leber aus Cholesterin gebildet und im Hoden zum eigentlichen „Erfolgshormon“ wird: Erst Testosteron macht uns zum Mann. Daraus resultieren die typisch dunkle Stimme und weitere maskuline Merkmale. Testosteron ist für ganz viele Stoffwechselprozesse verantwortlich.

Es fördert den Muskelaufbau und die Blutbildung, sodass das Hormon beim Doping verwendet wird. Typische Beispiele finden sich dort, wo Muskelmasse erwünscht ist oder viele Sauerstoffträger, wie beim Radfahren. Testosteron unterstützt die Bildung der roten Blutkörperchen und vermindert die Größe der Fettzellen.

Darüber hinaus hat Testosteron einen günstigen Einfluss auf Diabetes mellitus und auf die Veränderung der Fettwerte. Es gibt auch Patienten, die aufgrund ihres Testosteronmangels eine Depression entwickeln, Antidepressiva jedoch nicht ausreichend wirken. Eine Kompensierung des Testosteronmangels führt hingegen dazu, dass sich Patienten leistungsfähiger, agiler und besser fühlen. Daraus lässt sich ableiten, dass Testosteron auch im Gehirn benötigt wird.

serotalin®: Können Sie bestätigen, dass ein abnehmender Testosteronspiegel einen Einfluss auf die Geschlechtsorgane hat? Welcher Zusammenhang besteht in diesem Kontext zwischen dem Testosteronspiegel, der Fruchtbarkeit und der Spermatogenese?

Dr. Sandmann: Natürlich hat Testosteron einen Einfluss auf die Sexualfunktion des Mannes. Wer zu wenig oder kein Testosteron hat, entwickelt eine abnehmende sexuelle Appetenz und eine erektile Dysfunktion. Zur Unlust kommt dann noch die mechanische Unfähigkeit hinzu.

Da Testosteron auch an der Bildung der Samenzellen beteiligt ist, wird es für Patienten mit Kinderwunsch besonders schwierig: Eine Substitution von Testosteron führt dazu, dass die Bildung der Samenzellen vermindert wird, weil wir in den hormonellen Regelkreis eingreifen. Das Problem wird hier also größer. Entsprechend muss ein Patient mit Kinderwunsch anders als ein Patient behandelt werden, der beispielsweise 55 Jahre ist und sich keinen Nachwuchs mehr wünscht.

serotalin®: Welche Möglichkeiten stehen Männern zur Therapie eines zu niedrigen Testosteronspiegels zur Verfügung bzw. was können sie tun, um einem sinkenden Testosteronspiegel entgegenzuwirken?

Dr. Sandmann: Das beginnt mit der Ernährung bzw. mit Nahrungsergänzungsmitteln wie Zink, da das Spurenelement zur Erhaltung eines normalen Testosteronspiegels im Blut beiträgt. Wenn Sie jetzt aber von einem relevanten Testosteronmangel sprechen, dann werden zinkhaltige Nahrungsmittel nicht ausreichen.

Wenn Sie einen Testosteronmangel haben, dann muss man das fehlende Hormon ausgleichen. Genau wie man das eben auch bei der Schilddrüse macht. Indem man das Schilddrüsenhormon ergänzt, müssen wir dann das fehlende Testosteron ergänzen. Heutzutage gibt es im medizinischen Bereich zwei Wege. Ein Gel lässt sich schnell auftragen – es zieht schnell ein und hat eine gute Wirkung. Die zweite Möglichkeit ist die Injektion eines Testosteron-Depot-Präparates. Diese Spritzen werden in der Regel alle drei Monate gegeben, da sich der Stoff so langsam freisetzt. Früher waren diese Präparate deutlich kürzer wirksam, sodass der Regelfall bei vier Wochen lag, aber es gab auch viele Patienten, die alle zwei Wochen eine Spritze brauchten.

Der große Nachteil an dieser Therapie der intramuskulären Injektion besteht darin, dass eine Art Wellenbewegung aus zu viel und zu wenig Testosteron entsteht. Der Patient ist abgeschwächt, nicht leistungsfähig und möglicherweise depressiv, wenn er zu wenig Testosteron bekommt. Und wenn er zu viel hat, dann ist er wie aufgepumpt und unter Umständen auch aggressiv, was auch das Umfeld bemerkt. Und deshalb sind die langfristigen Präparate sinnvoller. Der große Vorteil am Gel ist, dass sie es jeden Tag optimal dosieren und anpassen können.

Abzuraten ist von im Internet gehandelten Produkten, wo man nicht weiß, ob sie sicher sind, was für ein Öl als Träger verwendet wird. Das Risiko sollte man kennen.

serotalin®: Können Sie bitte darstellen, wie erfolgreich Testosteronersatztherapien sind?

Dr. Sandmann: Ja, die Substitution von Testosteron ist erfolgreich. Das zeigen auch die Patienten. Wenn Sie sich vorstellen, Sie sollen sich jeden Tag Testosteron auf die Schulter „schmieren“, dann holen Sie sich in einem Vierteljahr nur dann ein Rezept, wenn Sie davon einen Vorteil haben. Das heißt, wenn Sie sich besser fühlen, wenn Sie Sport machen und eben auch merken, dass Sie leichter Muskeln aufbauen. Hinzu kommt, dass besser Fett abgebaut wird, dass Sie Ihren Diabetes irgendwie besser in den Griff bekommen, Sie bessere Laune haben und dass Sie leistungsfähiger sind. Sie holen sich das Rezept ja nicht alle Vierteljahr, nur damit der Arzt es los wird.

Schwieriger ist es häufig, den Erfolg wirklich messen zu können. Die erfolgreiche Substitution durch die Auffüllung der Blutwerte ist ja das Eine, aber wir therapieren unterschiedliche Patienten und keine Laborwerte. Je älter die Patienten sind, desto mehr Erkrankungen kommen dazu, die den Gesundheitszustand beeinflussen. Ein Drittel der Diabetiker hat einen Testosteronmangel. Auch Patienten, die Schmerzmittel aus der Opioidfamilie nehmen, haben ganz häufig einen Testosteronmangel.

Gleiches gilt für Patienten mit einer hochgradigen Nierenfunktionsstörung, die dadurch weitere Schwierigkeiten zeigen – zum Beispiel sind die Blutkörperchen eingeschränkt. Testosteron schraubt an vielen Zahnrädern und man merkt bei einer Testosteronersatztherapie, dass es den Patienten auf unterschiedliche Weise besser geht. Bei einer Niereninsuffizienz oder Diabetes mellitus ist Testosteron ein kleines, aber wichtiges Zahnrad im Behandlungserfolg.

Bei einer Nierenschwäche kommen teure Medikamente zum Einsatz, damit man rote Blutkörper bildet, aber das Testosteron wird nicht immer gemessen oder ergänzt, obwohl eine Testosteronsubstitution sinnvoll sein würde.

serotalin®: Gibt es bestimmte Nahrungsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, die dabei helfen können, den Testosteronspiegel aufrechtzuerhalten?

Dr. Sandmann: Ja, zinkhaltige Nahrungsergänzungsmittel und Fleisch, das der Kraftsport treibende Mann sowieso gerne isst, also rotes, teures bzw. hochwertiges Bio-Fleisch. Bei einem wirklichen Mangel – beispielsweise aufgrund eines Traumas in der Kindheit mit Verlust der Leistungsfähigkeit der Hoden oder aus anderen Gründen –, kann das nicht durch Supplemente ergänzt werden. Man muss individuell unterscheiden.

Das Problem ist, dass wir Medikamente haben, die Testosteron vermindern und die älteren Patienten, die eine koronare Herzkrankheit, Diabetes oder Verengungen der Gefäße haben, bekommen in der Regel Statine, um Cholesterin zu senken. Die Grenzwerte des schlechten LDL-Cholesterins werden immer strenger. An dieser Stelle muss allerdings berücksichtigt werden, dass Testosteron aus Cholesterin gebildet wird, so dass Cholesterinsenker einen relevanten negativen Einfluss auf die Testosteronsynthese entfalten können.

Einige Patienten haben nicht so niedrige Testosteronwerte, leiden aber enorm. Bei anderen muss man aufgrund eines deutlichen Mangels handeln, wovon der Patient aber nicht immer profitiert: Diese individuellen Situationen machen die Therapie schwierig.

serotalin®: Was sind Ihre wichtigsten Ratschläge für Männer ab 30, um den Testosteronspiegel und die allgemeine Gesundheit zu optimieren?

Dr. Sandmann: Allgemein leben Männer mit 30 Jahren anders als früher. Mein Großvater war beispielsweise Lokführer und andere hart arbeitende Bergleute. Heute wird Pizza geliefert, fast jeder hat ein Auto und es ist insgesamt wenig Bewegung nötig. Alle sind unheimlich immobil geworden. Früher brauchte man keinen Schrittzähler, ist 20 Kilometer Fahrrad gefahren und konnte entsprechend mehr essen.

Das funktioniert auch heute: Wer viel Ausdauer- und Kraftsport macht und sich eiweißreich ernährt, wird nicht so schnell zu den typischen Patienten mit Übergewicht und Diabetes mellitus gehören wie die, die täglich Dinge konsumieren, die dem Körper schaden. Und wenn die Leber hauptsächlich Zucker und Fett in größeren Mengen verarbeiten muss, fällt das Testosteron unter Umständen hinten runter.

Damals waren Männer mit 60 Jahren nach einem körperlich herausfordernden Beruf oft schon krank, haben sich gerade noch an das Fenster gesetzt mit ihrer COPD (chronischen Lungenerkrankung) bis sie dann „weg vom Fenster“ waren. Heute ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann 60 oder 80 Jahre wird, im Gegensatz zu früher hoch. Wenn sie sich aber nicht ab 30 Jahren um ihre Gesundheit kümmern, dann ist das so, als würden sie sich nicht um ihr Auto kümmern, dass sie aber später als Oldtimer anmelden möchten. Wichtig ist es, früh genug mit Sport, Kraftsport und Ausdauersport anzufangen, weil es sonst nicht mehr so effektiv ist. Wer mit 30 Jahren schon Übergewicht hat, wird umso mehr gesundheitliche Probleme mit 60 Jahren haben, da der Stoffwechsel immer weiter herunterfährt. Wir haben lange den Wert des Kraftsports unterschätzt, haben nur auf Ausdauertraining gesetzt, das war falsch.

Mein persönliches Fazit: Testosteron ist ein wichtiges Hormon, das einen schlechten Ruf hat, weil es zur Leistungssteigerung als Doping genommen wird. Dies zeigt aber auch, dass es ein extrem wichtiges und leistungsfähiges Hormon ist. Wenn man nicht leistungsfähig und depressiv ist, sollte man sich darum kümmern und einen Arzt aufsuchen, um das kompetent abklären zu lassen. Da gibt es klare Standards und genügend erfahrene Ärzte. Ein Testosteronmangel lässt sich gut behandeln. Ich würde mir wünschen, dass Testosteron mehr im Fokus steht, wenn bei jüngeren Patienten typische Symptome auftreten.

Das Andere, wo Sie ja nach dem Testosteronmangel beim jüngeren Patienten gefragt haben, da wäre mein Fazit, dass die 30-Jährigen sich mehr so um sich kümmern sollten – so, wie sie mit einem Auto umgehen würden, das sie später mal als Oldtimer fahren wollen. Das Problem ist nur, dass sich der Mann um sein Auto häufig deutlich besser kümmert als um seine Gesundheit, leichter teures Öl kauft als hochwertige Nahrungsmittel, seinen Körper nicht ausreichend trainiert und auf das Alter vorbereitet. Und ich glaube, da können wir, da müssen wir umdenken; das ist sehr wichtig, denn wir wollen ja gesund alt werden und die Zeit genießen können.

Über den Autor:

Der Allgemeinmediziner, Autor und Urologe Dr. Jörg Sandmann ist Spezialist auf dem Gebiet des Sexualhormons Testosteron. Er berät seine Patienten, welche Möglichkeiten einer Therapie bei einem Testosteronmangel zur Verfügung stehen – unter Einbeziehung eines gesunden, aktiven Lebensstils.

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