Serotonin im Alltag – über innere Ruhe, Ernährung und das Zusammenspiel von Körper und Kopf

Der Botenstoff Serotonin spielt eine Schlüsselrolle bezüglich des psychologischen Wohlbefindens. Was viele nicht wissen: Das sogenannte Glückshormon wird vor allem im Darm gebildet. Dieser Syntheseort erklärt, dass es eine enge Verknüpfung zwischen Gehirn und Verdauungstrakt gibt.

serotalin®: Welche Bedeutung hat Serotonin als Botenstoff im Zusammenspiel von Darmgesundheit und psychischem Wohlbefinden?

D. Riehle: Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass das „Glückshormon“ Serotonin, ein Transmitter, der die psychische Gesundheit beeinflusst –, im Gehirn gebildet wird. Mittlerweile wurde aber deutlich, dass 90 % der Produktion im Darm stattfindet. Mehr als 20 Hormone haben dort ihren Ursprung, die in unterschiedliche Körperregionen versendet werden. Obwohl die Verwertung des Hormons im synaptischen Spalt des Gehirns stattfindet und die Verweildauer wesentlich durch Medikamente der Wirkstoffklasse SSRI/SNRI beeinflusst werden kann, unterliegt die Menge des freigesetzten Neurohormons maßgeblich der Funktion des Darms.

Daher ist es aus meiner Sicht sinnvoll, bei der Diagnose von psychischen Erkrankungen auch eine Bestimmung von Darmflora und Darmfunktionalität vorzunehmen. Gerade Zwangsstörungen, Depressionen, ADHS, Demenz oder Autismus werden zunehmend mit einer Beeinträchtigung im Darmstatus assoziiert; konkrete wissenschaftliche Belege fehlen allerdings noch.

serotalin®: Beobachten Sie in Ihrer Beratungspraxis Zusammenhänge zwischen Verdauungsproblemen und emotionalem Befinden – und wie erklären Sie sich mögliche Wechselwirkungen?

D. Riehle: Wie sehr unser Magen-Darm-System in enger Verbindung mit unserer Psyche steht, berichten viele betroffene Personen. Wir wissen heute über die engen Zusammenhänge zwischen Verdauungsorganen und Psyche. Dennoch scheint der Umstand einer Komorbidität – das Auftreten von mehreren Erkrankungsbildern auf Ebene unterschiedlicher Organsysteme – aus ärztlichen Betrachtung und bei der Ursachenforschung unterzugehen. Meiner Erfahrung nach können psychische Beschwerden einen wesentlichen Ursprung in unserem Darm haben. Umgekehrt bleibt die Diagnose einer umfassenden Verdauungsproblematik erfolglos, weil keiner an die maßgeblichen Einflüsse des Seelenlebens auf Magen und Darm denkt.

Auf bis zu 500 Quadratmetern verteilen sich im Magen-Darm-Bereich Neuronen, die als „enterisches Nervensystem“ – ein hochentwickeltes Netzwerk, das ankommende Nahrung „überprüft“ und seine Zusammensetzung ermittelt – einen enormen Einfluss haben. Die ermittelten Daten werden entsprechend weitergeleitet und es entscheidet sich, welche Nährstoffe brauchbar sind oder ausgeschieden werden können.

Dennoch herrscht auch im Darm zunächst ein Prinzip der „Koexistenz“, das ein Nebeneinander von über die Nahrung aufgenommenen Bakterien, Viren und Keimen auch dann ermöglicht, wenn einzelne davon schädlich sein und Entzündungen auslösen könnten. Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass jeder an der Zusammensetzung seiner Darmflora proaktiv mitwirkt. Dadurch lässt sich trotz des Einflusses der Nervenzellen, die das Darm-Immunsystem beeinflussen, eine Symbiose der Mikroorganismen unterstützen. Letztere sind meiner Erfahrung nach besonders dann notwendig, wenn ihre Aktivität nachweislich Emotionen beeinflussen, die Stressresistenz erhöhen und die Konzentrationsfähigkeit stärken kann.

serotalin®: Welche Rolle schreiben Sie der Ernährung im Zusammenhang mit Wohlbefinden, Verdauung und psychischer Balance zu – auch im Hinblick auf mögliche Einflüsse auf Botenstoffe wie Serotonin?

D. Riehle: Ernährung hat aus meiner Sicht einen maßgeblichen präventiven Charakter, was psychische Beschwerden angeht: Zwar können wir sie durch eine gesunde Lebensweise nicht gänzlich verhindern, dennoch ist eine oftmals als „ausgewogen“ bezeichnete Lebensmittelauswahl ein Garant dafür, physiologisch beste Grundlagen dafür zu schaffen, dass das Risiko für eine seelische Erkrankung sinkt – so zumindest meine Einschätzung. Gewöhnlicherweise gehört es zu den Empfehlungen, präventiv auf Obst und Gemüse, Nüsse sowie Hülsenfrüchte und insbesondere auf Omega-3-haltige Produkte wie Fisch oder Leinsamen zurückzugreifen.

Sitzt man bereits im Hamsterrad aus Dekompensation, Überernährung und Anzeichen eines metabolischen Syndroms, ist hingegen meiner Erfahrung nach ein massives Reduzieren von Fett und kurzkettigen Kohlehydraten unumgänglich. Auch bei dem mit mentalen Belastungen assoziierten Diabetes und anderen Stoffwechselstörungen empfehle ich dies uneingeschränkt. Stattdessen ist eine Umstellung auf ballaststoffreiche, sättigende Lebensmittel das Ziel – auch wenn das für uns als Gewohnheitstiere ein mentaler Anspruch ist. Ob nun Eier, griechischer Joghurt, Bohnen, Haferflocken, Avocados, Vollkornbrot, Quinoa, Feigen oder Linsen: Nicht selten sind das unbekannte Geschmacksmomente, die auch in der Verarbeitung Kreativität und Innovationsgeist erfordern. Die Anpassung kann beispielsweise durch eine Ernährungsberatung oder einen Kochkurs leichter fallen.

Die Zusammenhänge zwischen Psyche, Ernährung und inneren Erkrankungen sind zwar noch nicht abschließend geklärt. Trotzdem erscheint es mir logisch, dass endokrine Störungen und gastroenterologisch-hepatologische Krankheiten aufgrund eines gestörten Metabolismus ein Katalysator sind, bei bestimmten Veranlagungen und exogenen Faktoren wie Krisen, Verlusten und Schicksalen eine manifeste psychische Erkrankung entwickeln zu können.

Obwohl zwischen dem Hirnstoffwechsel und dem restlichen Kreislauf des Organismus nur ausgewählte Überschneidungen bestehen, können biochemische Schieflagen im Gehirn und ein Ungleichgewichte im Haushalt von Botenstoffen wie Serotonin meines Erachtens ein Ursprung für das Entwickeln und Fortbestehen von Seelenkrankheiten sein.

serotalin®: Viele verbinden Serotonin mit Stressverarbeitung oder Schlaf. Welche Erfahrungen oder Einschätzungen bringen Sie dazu aus Ihrer Beratung mit – ganz unabhängig von Labordiagnosen?

D. Riehle: Gerade bei Reizdarm- und Reizmagen-Syndromen gilt es als eindeutig, dass die Psyche den wesentlichen Faktor für das Auslösen und Fortbestehen der Verdauungsproblematik darstellt. Die wechselseitige Beeinflussung auf Ebene von Magen-Darm-Bereich und Gehirn ist vielfach belegt.

Zahlreiche Stressoren wirken auf den Gastrointestinaltrakt ein. Vor allem Blähungen, Sodbrennen oder ein permanenter Wechsel von Verstopfung und Durchfall – oder Erbrechen und Übelkeit – können ein Zeichen dafür sein, dass die psychische Verfassung involviert ist. Wer darüber hinaus schon einmal mit solchen Beschwerden zu kämpfen hatte, weiß, wie die Schlafqualität darunter leidet.

Ob Prüfungsangst, Stress im Büro, Mobbing, „BurnOut“ oder unterschiedliche Anpassungs- und Belastungsstörungen, Depressionen und Phobien: In Situationen mit großen Herausforderungen kann die Überlastung der Psyche an den Verdauungstrakt weitergegeben werden.

serotalin®: Gibt es aus Ihrer Sicht bestimmte Lebensphasen – etwa bei Männern ab 30 oder 40 –, in denen Themen wie Energie, Stimmung oder Belastbarkeit häufiger im Mittelpunkt stehen?

D. Riehle: Nahezu jede Lebensphase ist von Herausforderungen geprägt, da wir uns mit unserer Existenz fast durchgehend im Umbruch befinden. Auch wenn uns das häufig nicht bewusst ist, verdrängen wir gerne Anzeichen der Erschöpfung und der Antriebslosigkeit, um zu funktionieren. Denken wir beispielsweise an den Berufseinstieg in den 20er bis frühen 30ern: hoher Druck durch Karriereaufbau, finanzielle Unsicherheiten und die Suche nach Stabilität sind dort Alltag. Oder die klassische Epoche der Familiengründung in den 30er bis 40ern mit einer Kombination aus beruflicher Entwicklung, intensiver Kindererziehung und partnerschaftlicher Verbundenheit. Diese Phase führt oft zu Zeitmangel und Überforderung.

In der sogenannten Midlife-Crisis zwischen den 40er bis 50ern setzen die Reflexion über biografische Ziele, eine mögliche Stagnation im Job oder körperliche Veränderungen („Wechseljahre“ beider Geschlechter) ein. In den 50er bis 60ern sind wir häufig mit der Verantwortung für die alternden Eltern oder kranken Angehörigen (Pflegephase) befasst. Auch eigene gesundheitliche Baustellen kommen hinzu, die sich bei fast jedem an irgendeiner Stelle bemerkbar machen. Und im Übergang in den Ruhestand ab den 60ern müssen wir uns an neue Strukturen anpassen oder uns gegebenenfalls dem Wohnungswechsel, einem Verlust von sozialen Kontakten, Einsamkeit oder Sinnkrisen widmen.

serotalin®: Was sind aus Ihrer Sicht bewährte, alltagstaugliche Maßnahmen zur Förderung von Ausgeglichenheit und Wohlbefinden – unabhängig von medikamentöser Unterstützung?

D. Riehle: Es sollten stets auch die sogenannten „niederschwelligen“ Angebote wie psychosoziale Beratung, Selbsthilfegruppen oder ergänzende Therapiemaßnahmen aus dem komplementären Spektrum nicht außer Acht gelassen werden. Darunter fallen gegebenenfalls eine Ernährungsumstellung, mehr Bewegung, eine verbesserte Schlafhygiene oder Lichttherapie. Auch eine an den jeweiligen Bedarf angepasste Substitution mit Vitalstoffen kann eine Option sein. Daneben sind Entspannungstraining und Übungen zur Stressbewältigung ebenso hilfreich wie ein Arbeiten an den eigenen Glaubenssätzen, Erwartungen und Ansprüchen.

Denn nicht zuletzt sind es oftmals eingefahrene Persönlichkeitsstrukturen, die zu einer Aufrechterhaltung eines psychodynamischen Geschehens beitragen. Wenn wir uns daneben offen zeigen, in einer Psychotherapie Einblick in unser Unterbewusstsein zu gewähren und uns mit dem seelischen „Komposthaufen“ zu befassen, der sich über die Lebenszeit hinweg bei jedem von uns ansammelt, besteht auch die Chance, nicht nur die Oberfläche zu durchpflügen, sondern in die Tiefe vorzudringen. Denn das Werkeln an Symptomen allein reicht meist nicht aus, um Ursachen zu bekämpfen und die Wurzel des Übels zu entreißen.

serotalin®: Erleben Sie in Ihrer Praxis eine Nachfrage zu Nahrungsergänzung – und wie begleiten Sie solche Fragen im Beratungsalltag?

D. Riehle: Ich erlebe eigentlich das, was auch der Gesamttrend widerspiegelt. Die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland ist weiterhin hoch und zeigt ein stabiles Wachstum, trotz wirtschaftlicher Herausforderungen wie der Inflation. Dies dürfte vor allem mit einem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein, der alternden Bevölkerung und dem Wunsch nach Immunstärkung (besonders seit der Corona-Pandemie) zu erklären sein. Verbraucher bevorzugen multifunktionale, natürliche und bioverfügbare Produkte. Insbesondere die junge Generation achtet dabei sehr auf Qualität, Trend und Funktion der einzelnen Wirkstoffe.

Klienten kommen meist bereits vorinformiert zu mir. Nicht zuletzt durch sehr viel Werbung angetrieben, geht es insbesondere um Vitamin C, D, B12, Magnesium und Calcium. Ich stehe diesem Thema gerade auch aufgrund meiner Qualifikation und Fortbildung sehr offen gegenüber, habe ich doch selbst die Erfahrung gemacht, wie die Substitution auf mancher Baustelle die ersehnte Wende – oder aber auch einen neuen Schub– brachte.

Es existieren viele Mikronährstoffe, die man nicht auf gut Glück einnehmen und keinesfalls überdosieren sollte. Daher sollte es eigentlich Standard sein, sich nach einer ärztlichen Konsultation, der Erhebung möglicher Symptome, im Rahmen der Ernährungsberatung und im Anschluss eines Blutbildes nicht wahllos für eine Zusammenstellung der unterschiedlichsten Spurenelemente, Aminosäuren oder Mineralstoffe zu entscheiden. Auch nicht, obwohl Multivitaminpräparate heute allzu leicht in jeder Apotheke bezogen werden können.

Ich halte es für notwendig, jeweils ein individuelles Konzept zu erstellen, in das unter anderem auch eine umfassende Aufklärung darüber eingebaut ist, weshalb es den ein oder anderen Baustein benötigt – und warum er in einem gesamten Gefüge Auswirkungen auf Funktionsbereiche haben kann, die man mit ihm nicht sofort in Verbindung bringt. Es braucht nach meiner Überzeugung ein Verständnis über die Sinnhaftigkeit orthomolekularer Unterstützung, ihre weiten Verzweigungen und komplexen Zusammenhänge, wie es übrigens bei jeder Maßnahme, die unsere Gesundheit betrifft, selbstverständlich sein sollte.

serotalin®: Welche typischen Missverständnisse oder Mythen begegnen Ihnen im Zusammenhang mit Serotonin und Nahrungsergänzung?

D. Riehle: Die meisten Klienten meinen, es gäbe keine Verbindungen zwischen einem Neurotransmitter und einem Nahrungsergänzungsmittel, weil es nach ihrer Auffassung zwei völlig unterschiedliche Kategorien seien. Dann führe ich stets Beispiele an, die das Gegenteil belegen. Beispielsweise wird Serotonin im Körper aus der Aminosäure L-Tryptophan synthetisiert. Nahrungsergänzungsmittel mit L-Tryptophan können die Serotoninproduktion unterstützen, da sie die Verfügbarkeit dieser Vorläufersubstanz erhöhen. Studien zeigen, dass L-Tryptophan-Supplemente bei Schlafstörungen oder leichten depressiven Symptomen helfen können.

Die Mineralstoffe Magnesium und Zink spielen eine Rolle bei der Regulation von Neurotransmittern, einschließlich des Serotonins. Ein Mangel kann die Serotoninfunktion beeinträchtigen, weshalb Supplemente in bestimmten Fällen nützlich sein können. Vitamin B6 ist ein Cofaktor bei der Umwandlung von L-Tryptophan in Serotonin. Ein Mangel könnte also die Serotoninproduktion beeinträchtigen, weshalb die Einnahme in diesem Zusammenhang relevant sein kann. Und nicht zuletzt häufen sich die Hinweise, dass Omega-3-Fettsäuren die Serotoninrezeptor-Funktion verbessern können, was indirekt die Stimmung positiv beeinflussen würde.

Bei alledem gilt aber stets: keine Experimente wagen, sondern sich bei Ärzten, Ernährungsexperten, Apothekern oder Heilpraktikern bezüglich Auswahl, Dosierung und Einnahme beraten lassen!

Über den Autor: Dennis Riehle, geb. 1985, aus Konstanz am Bodensee, ist psychologischer Sozial-, Gesundheits- und Ernährungsberater, Journalist und Autor. Er war über zwei Jahrzehnte als ehrenamtlicher Selbsthilfegruppenleiter aktiv, begleitet weiterhin Klienten im Alltag und verfügt angesichts beruflicher Praxis sowie eigener Betroffenheit über einen reichen Erfahrungsschatz hinsichtlich mentaler Dysbalancen und ihrer komplexen, vielfältigen Zusammenhänge.